Schrödingers Katze – »Qubit«-Sprung 2025

Leben wir in einem Code? Schrödingers Katze und die neue Informationsphysik
In der Quantenmechanik befindet sich Schrödingers Katze in einem Überlagerungszustand – zugleich tot und lebendig, bis eine Messung den Zustand festlegt. Realität entsteht demnach erst im Moment der Beobachtung, wenn die Wellenfunktion kollabiert. 2025 gewinnt dieses holographische Prinzip neue Aktualität.
Während Quantencomputer beginnen, die Struktur physikalischer Systeme direkt zu berechnen, rückt eine einst theoretische Idee in den Bereich des Empirischen: Wenn Beobachtung einem Rechenvorgang entspricht, könnte das Universum selbst ein Informationsprozess sein – ein Code, der sich nur beim Zugriff entfaltet. In dieser Sichtweise wäre das Universum kein statisches Gebilde aus Materie, sondern ein dynamischer Informationszustand – möglicherweise nur eine von vielen konsistenten Realitäten innerhalb eines größeren, quantenmechanischen Multiversums.
Wenn Maschinen die Wirklichkeit berechnen
Etwas Merkwürdiges geschieht an der Grenze zwischen Physik und Philosophie. Während Quantencomputer beginnen, die Struktur der Realität selbst zu modellieren, verschwimmt der Unterschied zwischen Simulation und Wirklichkeit.
Seit Google 2024 mit dem »Willow«-Prozessor 105 Qubits stabil verschränken konnte, sprechen Fachleute von einem ersten Schritt zur Fehlerunterdrückung unterhalb der Schwelle – einer Qualität, bei der zusätzliche Qubits das System robuster machen statt instabiler. Microsofts »Majorana 1«-Chip nutzt topologische Qubits, die weniger anfällig für Dekohärenz sind. IBM will noch in diesem Jahr Systeme jenseits der Tausend-Qubit-Marke vorstellen.
Diese Maschinen rechnen nicht mehr über die Welt, sie rechnen die Welt. Sie simulieren Moleküle, magnetische Felder, chemische Reaktionspfade – und wenn das Universum selbst auf Quanteninformation beruht, sind diese Rechner kleine Spiegel seiner inneren Logik. Vielleicht ahmen sie nicht nur die Natur nach, sondern verstehen erstmals ihre Rechenweise.
Warum die Simulation plötzlich plausibel klingt
Der Oxford-Philosoph Nick Bostrom formulierte 2003 in seinem Essay Are We Living in a Computer Simulation? den Gedanken, der seither nicht verschwindet: Wenn fortgeschrittene Zivilisationen in der Lage sind, Simulationen ihrer Vergangenheit zu erzeugen, dann würden simulierte Bewusstseine bald in der Überzahl sein. Die Wahrscheinlichkeit, selbst in der »Basis-Realität« zu leben, wäre verschwindend gering.
Der Informatiker Rizwan Virk vom MIT greift diese Logik in The Simulated Multiverse (2021) auf und führt sie fort: Wenn ein Universum simulierbar ist, dann auch viele parallel. Vielleicht sind schwarze Löcher Rechenportale, der Mandela-Effekt ein Artefakt von Dateninkonsistenzen, kollektive Erinnerungslücken Glitches im Code. Virk nimmt diese Ideen nicht als Glaubenssystem, sondern als Gedankenexperiment: Was geschieht, wenn wir Bewusstsein als Rechenprozess begreifen?
Wenn die Physik den Code zurückweist
Eine 2025 erschienene Arbeit des Astrophysikers Franco Vazza (Astrophysical Constraints on the Simulation Hypothesis) zeigt, dass selbst eine grobe Simulation der uns bekannten Welt unvorstellbare Energiemengen erfordern würde – mehr, als das Universum selbst besitzt. Das spricht gegen die Vorstellung einer „vollständigen Simulation“, aber nicht gegen die Idee eines informationsbasierten Kosmos.
Der Physiker Melvin Vopson schlägt daher eine alternative Deutung vor: Gravitation könnte keine Kraft, sondern ein Effekt der Informationskompression sein – eine algorithmische Entropieminimierung, die das Universum permanent optimiert. In dieser Lesart läuft der Code nicht unter der Welt, sondern ist die Welt.
Wenn Erinnerung flackert – Mandela-Effekt als Systemfehler
Menschen auf der ganzen Welt erinnern sich an Ereignisse, die es nie gegeben hat – Nelson Mandelas vermeintlichen Tod in den 1980ern, ein Monokel beim Monopoly-Männchen. Psychologisch erklärt sich das als Fehlwahrnehmung, doch innerhalb der Simulationsthese wirkt es wie ein Rauschen im System: kleine Diskrepanzen zwischen gespeicherten Versionen derselben Realität. Vielleicht sind diese Glitches harmlos. Vielleicht aber sind sie Spuren einer fortlaufenden Aktualisierung – Mini-Patches einer Software, die niemals ganz stillsteht.
Digital Afterlife – das Backup des Bewusstseins
Die Grenze zwischen realer und simulierter Existenz verwischt längst auch in der digitalen Kultur. In den letzten Jahren entstehen Start-ups, die versprechen, das Bewusstsein Verstorbener aus digitalen Spuren zu rekonstruieren: Stimmen, Chatverläufe, Bewegungsprofile. Replika, HereAfter AI oder Project December erzeugen algorithmische Abbilder, die wie Persönlichkeiten agieren – trainiert auf der Sprache und den Emotionen realer Menschen.
Der Traum vom digitalen Weiterleben ist die populäre Variante der Simulationshypothese: ein persönliches Paralleluniversum, das nicht von Göttern oder Außerirdischen, sondern von uns selbst erschaffen wird. Wenn Bewusstsein nur ein Muster ist, könnte es theoretisch kopiert, gespeichert, weitergeführt werden – als Prozess, nicht als Seele. Damit kehrt eine surreale Frage in den Alltag zurück: Wenn der Tod das Ende der biologischen Berechnung ist – was geschieht mit dem Code? Philosophisch führt das zu einer Neubewertung dessen, was wir Realität nennen.
Der australische Denker David Chalmers argumentiert, ein digitales Objekt sei ebenso real wie ein physisches – beides sind konsistente Strukturen innerhalb eines Systems. Damit verliert die Simulationsthese ihren nihilistischen Beigeschmack: Sie erklärt Realität nicht als Täuschung, sondern als Berechenbarkeit. Vielleicht besteht die Aufgabe des Bewusstseins nicht darin, aus der Simulation zu entkommen, sondern sie zu verstehen. Die Quantencomputer, die wir bauen, sind dann keine Bedrohung, sondern Spiegel – Werkzeuge, die uns zeigen, wie tief Berechnung und Sein ineinander verschränkt sind.
Fazit: Der Code denkt mit
Ob wir in einer Simulation leben oder nicht, ist am Ende zweitrangig. Die alles entscheidende Erkenntnis lautet: Realität ist kein statischer Zustand, sondern ein Prozess. Wir sind Teil eines Universums, das rechnet, um sich selbst zu begreifen. Vielleicht gibt es keinen Spieler, keinen Gott, keine Steuerzentrale außerhalb des Systems. Vielleicht sind wir selbst der Code, der allmählich erkennt, dass er läuft.
Quellen
Nick Bostrom — Are We Living in a Computer Simulation?, Philosophical Quarterly, 2003
Rizwan Virk — The Simulated Multiverse: An MIT Computer Scientist Explores Parallel Universes
Franco Vazza — Astrophysical Constraints on the Simulation Hypothesis, arXiv preprint, 2025
Melvin Vopson — Gravity as Evidence for a Simulated Universe, University of Portsmouth, 2025
David Chalmers — Reality+: Virtual Worlds and the Problems of Philosophy
Daniel Oberhaus — Computing at the Edge of Reality, The Atlantic, 2023
Steven Poole — The Big Idea: Are We Living in a Simulation?, The Guardian 2025