Duell bei ABC – Wird Kamala Harris siegen?
Der Wahltag ist nur noch 50 Tage entfernt. Früher bedeutete diese Zeitspanne, dass die kommenden Wochen entscheidend sein würden, um herauszufinden, wer der nächste Präsident wird. Doch dieses Jahr ist alles anders – aus mindestens zwei Gründen.
Erstens, das Rennen ist extrem knapp. Eine Umfrage von CNN in sechs wichtigen Swing-States zeigt ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Während Harris in Michigan und Wisconsin einen leichten Vorsprung hat, liegt Trump in Arizona vorne. In Pennsylvania, Georgia und Nevada gibt es keinen klaren Favoriten. Insgesamt: Es ist zu eng, um einen Sieger zu benennen.
Und es ist nicht nur CNN: Auch andere renommierte Umfrageinstitute bestätigen ähnliche Ergebnisse. Der aktuelle Durchschnitt von RealClearPolitics für Pennsylvania zeigt beide Kandidaten bei 47,2 %. Ein Bericht der Washington Post illustriert dies weiter: Nevada ist unentschieden, Trump liegt in North Carolina und Arizona mit weniger als einem Prozent vorne, in Georgia führt er mit zwei Punkten.
Harris hat dagegen in Michigan einen Vorsprung von zwei Punkten, in Pennsylvania von drei und in Wisconsin von vier. Interessanterweise gibt der Wahlprognose-Guru Nate Silver Trump derzeit eine 61,5-prozentige Chance, die Wahl zu gewinnen, während Harris bei 38,3 % liegt – der höchste Stand für Trump seit dem 3. Juli. Viele Wettmärkte sind sich dahingehend einig, auch wenn die Online-Plattform PredictIt Harris eine 53-prozentige Chance zuspricht. Einen Harris-Sieg prophezeit auch der Historiker Allan Lichtman, der mit seinen Wahl-Orakeln nur einmal in 40 Jahren falsch lag.
Battleground-Bonanza: Das sind die Schlachtfelder
Seit den Vorwahlen am Super Tuesday im März wurden in den sieben entscheidenden Swing States fast 590 Millionen Dollar für politische Werbung ausgegeben. Pennsylvania, der größte Preis im Rennen, liegt weit vor allen anderen. Über 100 Millionen Dollar wurden dort auf demokratischer Seite bereits verbrannt, eine Investition von 145 Millionen Dollar in Wahlwerbung steht noch an. Denn in einem Punkt sind sich fast alle Beobachter einig: Der wahrscheinlichste Weg für die Demokraten führt durch diese blaue Mauer und Pennsylvania ist der Schlüssel, um es ins Weiße Haus zu schaffen.
Man kann es daran erkennen, wie viel Zeit und Geld beide Kandidaten dort investieren. Der Wahlkampf der Demokraten ist dabei deutlich besser finanziert: Seit Joe Bidens Rückzug von der Kandidatur rollt bei ihnen eine nie dagewesene Spendenwelle, die in nur gut vier Wochen über 540 Millionen Dollar in die Kassen spülte. Allein in der Stunde nach der Nominierungsrede von Kamala Harris auf dem Parteitag in Chicago gingen 82 Millionen Dollar ein.
Bisher waren es vor allem viele Privatpersonen aus „Grasroot“-Bewegungen, die jeweils kleine Summen gespendet haben. Weitere Unterstützer der Harris-Kampagne sind Tech-Milliardäre aus dem Silicon Valley – wie Reid Hoffman, Mitbegründer des beruflichen Netzwerks LinkedIn, oder der Multimilliardär Georg Soros sowie Mike Bloomberg, vormals Bürgermeister von New York.
Auch führende Republikaner unterstützen das gegnerische Lager: darunter Melania Trumps ehemalige Pressesprecherin Stefanie Grisham, Adam Kinzinger, Ex-Gouverneur von Georgia sowie der frühere republikanische Vizepräsident Dick Cheney. Alle sind sich einig: Nie gab es eine größere Gefahr für die Demokratie. Die Managerin von Harris‘ Wahlkampfteam, Jen O’Malley Dillon: „Ob Republikaner, Demokraten, Unabhängige oder nichts davon – Kamala Harris wird weiterhin daran arbeiten, die Unterstützung aller Amerikaner zu gewinnen.“
Raum für Hoffnung – und Manipulationen
Obwohl auch in den USA immer weniger Menschen lineares Fernsehen gucken, pumpen die Demokraten noch immer rund 170 Millionen Dollar in Fernsehspots, weitaus mehr allerdings – rund 200 Millionen Dollar – in digitale Anzeigen. Trotzdem sind sie selbstredend die „Underdogs“ in dem Rennen. Denn die Republikaner profitieren im Wahlmänner-Gremium, dem sogenannten Electoral College, weil ländliche, republikanische Staaten mehr Wahlmänner-Stimmen pro Einwohner erhalten als bevölkerungsreiche, demokratische Staaten. Demokratische Wähler hingegen sind in urbanen Gebieten konzentriert, was ihre Stimmen schwächt.
Da in den Swing States oft zahlreiche Brief- und Frühwählerstimmen abgegeben werden, die erst nach Wahlschluss bearbeitet und überprüft werden dürfen, kann die Auszählung dort mehrere Tage dauern. Dieses Zeitfenster nutzen zwielichtige Akteure, um Zweifel an den Ergebnissen zu schüren – so wie Donald Trump bereits 2020 den langsamen Auszählungsprozess für unbegründete Wahlbetrugsvorwürfe ausnutzte. Selbst wenn die Demokraten derzeit Spendenrekorde einfahren, ist ihr finanzieller Vorsprung kein Garant für einen Wahlerfolg: Auch Hillary Clinton verfügte seinerzeit über erhebliche Mittel und hatte mehr als doppelt so viele Ressourcen wie die Republikaner – und doch gewann Trump.
Harris gegen Trump: im Schatten von Project 2025
Kamala Harris und Donald Trump treten am Dienstag zum ersten Mal in einer Debatte gegeneinander an, nur acht Wochen vor dem Wahltag. Die Debatte, die von ABC News moderiert wird, findet im National Constitution Center in Philadelphia statt und wird von David Muir und Linsey Davis geleitet. Dies wird möglicherweise die einzige Präsidentschaftsdebatte zwischen den beiden Kandidaten sein. Die Vizepräsidentin begegnet dem Ex-Präsidenten erstmals, denn nach Trumps Wahlniederlage gab es aufgrund des Sturms seiner Anhänger auf das US-Kapitol keine Amtsübergabe.
Die Kandidaten stellen sich nun auf den Schlagabtausch ein. Harris sagte am Mittwoch vor Reportern, dass ihre Vorbereitungen „bisher gut laufen“, nachdem sie in New Hampshire Wahlkampf gemacht hatte. In einem Radiointerview mit „The Pulse of NH“ am selben Tag sagte Trump: „Ich übe sowieso schon mein ganzes Leben lang für Debatten wie diese.“
Ein Donald Trump 2.0 wäre weit gefährlicher als der oft populistisch auftretende Demagoge von 2020. Das rechtsradikale Manifest „Project 2025“ der Trump-Hardliner liefert die Blaupause für den Umbau Amerikas in eine Autokratie. Das düstere Programm, erinnernd an Margret Atwoods dystopischen Roman „Der Report der Magd“, verleiht dem Präsidenten nahezu unbegrenzte Machtbefugnisse und beugt den Obersten Gerichtshof und das Militär zu seinen Gunsten. So drohen Regierungsbeamten Entlassungen, um sie durch MAGA-Loyalisten zu ersetzen, die seine xenophobe, frauenfeindliche und protektionistische Agenda unterstützen.
In der internationalen Presse wird mit zweierlei Maß gemessen. Trump profitiert von einem kollektiven Abstumpfungsprozess, der durch seine zahlreichen Entgleisungen und Lügen entstanden ist. Während der erratische Propagandist ungestraft über blutrünstige Haie und den fiktionalen Serienkiller Hannibal Lecter schwadronieren kann, wird Harris bereits für eine Haltungsänderung zum umstrittenen „Fracking“ – einer Technik, bei der durch Wasser, Sand oder Chemikalien Öl und Erdgas aus unterirdischen Gesteinsschichten gewonnen wird – zur Verantwortung gezogen.
Das Trump-Team verfolgt das Ziel, Harris sowohl für ihre Partnerschaft mit Biden als auch für die unbeliebten Teile seiner Präsidentschaft verantwortlich zu machen. Trump konzentriert sich insbesondere auf hohe Lebenshaltungskosten, weltweite Unruhen, öffentliche Sicherheit und Einwanderung. Bis heute eine offene Flanke ist auch der von ihr im Jahre 2021 mitgetragene Rückzug amerikanischer Truppen aus Afghanistan.
Das Duell wird 90 Minuten dauern und ohne Publikum stattfinden. Beide Kandidaten werden abwechselnd sprechen, wobei jeweils das Mikrofon des anderen stumm geschaltet wird. Trump, der die Münzwurfentscheidung gewann, wird die Abschlussrede halten. Für viele Republikaner könnte dieses Duell seine beste Chance sein, im Rennen um die Präsidentschaft Boden gutzumachen: vorausgesetzt, er bleibt diszipliniert und konzentriert sich auf politische Inhalte statt auf persönliche Angriffe. Hoffentlich gelingt ihm das nicht.
Was man vor der Debatte wissen sollte
1. Wann ist die Debatte? Harris und Trump debattieren am Dienstag, dem 10. September, um 21 Uhr ET. Die Debatte dauert 90 Minuten mit zwei Werbepausen.
2. Wo findet die Debatte statt? ABC News veranstaltet die Debatte im National Constitution Center, einem privaten, gemeinnützigen Bildungszentrum und Museum, das der US-Verfassung in Philadelphia gewidmet ist.
3. Wer moderiert die Debatte? David Muir und Linsey Davis von ABC News
Die Kandidaten werden zwei Minuten Zeit für ihre Antworten haben, zwei Minuten für Widerlegungen und eine Minute für Nachfragen oder Klarstellungen.