»Ave Imperator!« – Quo vadis, Amerika?

»Ave Imperator!« – Quo vadis, Amerika?

Der Präsident als Imperator: Trump wird künftig kaum noch belangt für seine Taten.

Trump hat nicht gewonnen. Aber Biden verloren.

Es scheint wie eine Ewigkeit und ist doch nur wenige Tage her, am Donnerstagabend, als Präsident Biden sich bereiterklärte, an einer Debatte teilzunehmen. Das sollte Schwung in die bisweilen stockende Wiederwahlkampagne bringen. So dachten die Demokraten. Stattdessen wurde das Aufeinandertreffen mit Trump zum Debakel. Nun hinterfragt ihn selbst die liberale New York Times als Kandidaten. Quo vadis, Amerika?

Um seinen Land zu dienen, sollte Biden aus dem Rennen aussteigen. So stand es am Folgetag auf dem Cover der New York Times. Biden verdiene einen besseren Abgang als das Trauma vom Vortag, schreibt auch The Atlanta und die Stimmen werden lauter: Die liberale Echokammer hat sich plötzlich gegen ihren Präsidenten gewandt. Was zu dieser Kaskade führte? Ein müder, vom Alter gezeichneter Mann, der zuvor noch pflichtbewusst von Termin zu Termin gehetzt war, verlor bei der alles entscheidenden Debatte den Faden. Trumps Bombardement der Lügen hatte er nichts entgegenzusetzen, ihre Allgegenwart ließ ihn versagen. Er hätte für die Fortsetzung einer Politik werben können, die schon jetzt als die erfolgreichste seit Lyndon B. Johnson gilt: wirtschaftlich, gesellschaftlich und sozial. Aber er schwieg. In heitereren Zeiten pflegte er zu scherzen: „Vergleicht mich nicht mit dem Allmächtigen, sondern mit der Alternative.“ Nachdem das Oberste US-Gericht Präsidenten in ihrer offiziellen Rolle nahezu grenzenlose Immunität zuspricht, auch Trump, der aus seinem Racheplan keinen Hehl macht, sollte man genau das jetzt tun …

It’s not over, Joe!

Die tatsächliche Alternative, nicht die humorvoll-hypothetische, war der Mann, der Joe Biden am Tag der CNN-Debatte in Atlanta gegenüberstand: Jemand, der bereits einen politischen Putsch gegen Amerikas Regierung angestiftet hat. Der nun andeutet, dass er das Ergebnis der Wahl 2024 erneut nicht akzeptieren wird, wenn er wieder verliert; der verurteilte Verbrecher, den drei weitere Anklagen erwarten; von Anstiftung zum Putsch bis hin zu Wahlbeeinflussung und Dokumentendiebstahl; der Mann, der wegen sexueller Übergriffe und massiven Betrugs zur Verantwortung gezogen wurde; der stolz darauf ist, Roe v. Wade – das Recht schwangerer Frauen auf Selbstbestimmung – beendet zu haben, eine Entscheidung; nach der zum Beispiel 14-Jährige in manchen Bundesstaaten das Kind ihrer Vergewaltiger austragen müssen, der Mann, dessen Steuerpläne nach Meinung Dutzender Nobelpreisträger die Wirtschaft lahmlegen könnte; der sich darauf freut, wichtige globale Allianzen zu beenden; der auf Rallyes mit verwischter Stimme spricht und über Batterien und Haie faselt – warum gibt es keine Forderungen, das zu hinterfragen?

Das „Drunken Uncle“-Syndrom

Nur wenige Tage, bevor er als 34-fach verurteilter Straftäter auf seinen Bewährungshelfer traf, ging der führende Präsidentschafts-Kandidat auf eine bizarre Hai-Tirade: Griffen doch diese häufiger an als üblich (nicht wahr!) und stellten aufgrund der Vorschrift, dass Boote Batterien verwenden müssen – auch falsch! – ein neues Risiko dar. Aufgrund ihres Gewichts würden die Boote schneller sinken. [sic!] – Selbst die schwersten Kreuzfahrtschiffe der Welt bleiben aufgrund der physikalischen Gesetze trotz ihres Gewichts schwimmfähig. Das muss man wissen. Und doch lassen sich solche verbalen Entgleisungen nicht einfach weglachen: Denn Trump ist vielleicht der nächste Präsident der USA. Da lohnt sich eine Durchsicht des Transkripts in all seinem Wahnwitz:

„Ich sage, ‚Was würde passieren, wenn das Boot aufgrund seines Gewichts sinkt und du im Boot bist und du diese enorm leistungsstarke Batterie hast und die Batterie unter Wasser ist, und da ist ein Hai, der ungefähr 10 Meter entfernt ist?‘ Übrigens gab es in letzter Zeit viele Haiangriffe. Haben Sie das bemerkt? Viele Haie … Ich habe heute einige Leute gehört, die es gerechtfertigt haben: ‚Nun, sie waren nicht wirklich wütend. Sie haben der jungen Dame das Bein abgebissen, weil sie nicht hungrig waren, aber sie haben missverstanden, wer sie war.‘ Diese Leute sind verrückt.“  Äh, ja …

Ursprünglich wollte er damit gegen die „linksradikalen“ Demokraten hetzen, schweifte jedoch unvermutet ab. Es geht plötzlich auch um Wasserhähne: „Du drehst sie auf und es tropft und tropft die Seife“, jammert er, dabei sei sein Haar so „wunderschön“. Angefeuert vom Applaus fügt er noch hinzu, er schäume es so gern auf: „Ich mag viel Schaum, weil es dann etwas dicker wirkt“. Da unterbricht selbst Trumps Propaganda-Kanal FOX News.

Nur eine von vielen bekannten Banalitäten der neuen Normalität

Bei Biden wären sogleich Forderungen nach einem Rücktritt lautgeworden. Bei Trump reduziert sich sein ganz alltäglicher Wahnsinn auf Zwischenfälle, kaum mehr erwähnenswert: lächerliche Aussagen, die ignoriert werden, weil sie schon Routine sind. Genau hier wird es gemeingefährlich. Basierend auf Google News erhielt die Nachricht über Bidens Hund, der einen Secret Service-Agenten biss, weit mehr Presseberichterstattung als Trumps Aussage, er ließe Diebe am liebsten ohne Gerichtsverfahren erschießen. Dass er schon mal die Idee ins Spiel bringt, den Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff Milley hinzurichten. Politische Gegner einzusperren. Die fiktive Figur Hannibal Lector als „wunderbaren, aber leider verstorbenen Mann“ bezeichnet. Mit einem zweiten (nicht dritten) Weltkrieg droht. Nikki Haley (53) mit Nancy Pelosi (85) verwechselt und Obama immer noch an der Macht vermutet. Seit neustem auch die Gründung einer Gladiatorenliga vorschlägt, die nur aus Migranten bestehen soll:

„Und da küren wir dann einen Champion, und der kämpft dann gegen die größten Kämpfer der normalen Liga“, führte Trump aus. „Ich denke, der Migranten-Champion wird gewinnen, denn sie sind so verdammt zäh.“

Doch die Republikaner scheinen von der schieren Überflutung des Verrückten zu profitieren. Denn im Gegensatz zu Trump entstehen bei Biden Fragen zu seiner geistigen Fitness als Präsident, wenn er sich in einem Namen oder einem Datum vertut, anstatt von Haien zu fabulieren. Fazit: Ein Präsident, der gelegentlich einen Fehler macht, ist weitaus weniger besorgniserregend als einer, der sich an illusionäre Fantasien und Verschwörungstheorien beteiligt. Biden lebt in der Realität; die Trump immer öfter entgleitet. Zeit auszusteigen! Erstaunlicherweise beziehen sich die kritischen Kolumnisten dabei nicht auf den autoritären Straftäter, der eine gewalttätige Menge dazu angestiftet hatte, das Kapitol anzugreifen. Nein, sie meinen Biden.

Für Trump ist immer Haifischzeit

Die Krux bei Trump, von ihm mit 78 Jahren zu sagen, er sei „einfach Trump“,
ist jedoch, dass solche Ausfälle keine Ausnahme bilden. So versuchte er während einer Rede in Las Vegas zu leugnen, was ihm sein früherer Stabschef, der pensionierte Marine General John F. Kelly, vorgeworfen hatte: dass er 2018 den Besuch eines amerikanischen Militärfriedhofs in Frankreich mit der Begründung abgelehnt habe, dieser sei voller „Loser“. Gegenüber der Menge behauptete Trump dann, dass „nur eine sehr dumme Person“ so etwas sagen würde, während er „dort mit Generälen und Militärangehörigen auf einem Friedhof“ stehe. Aber er hat dort gar nicht gestanden. Er ist nie zum Friedhof gegangen. Außer vielleicht in seinem Kopf …

Update: Befiehlt der Spezialeinheit SEAL Team 6 die Ermordung eines politischen Rivalen? Immun! Organisiert einen Militärputsch, um an der Macht zu bleiben? Immun! Nimmt ein Bestechungsgeld im Austausch für eine Begnadigung an? Immun, immun, immun, immun: Ein Präsident ist vor Strafverfolgung geschützt, solange es nur ein offizieller Akt ist, entschied gestern der Supreme Court in Amerika und bereitet damit den Boden für Trumps Rachefeldzug gegen politische Rivalen. Passend zur bereits im Detail ausgearbeiteten Agenda 2025 rechtsradikaler Republikaner: Das oberste Gericht stellt damit die Kulisse für das Drehbuch eines Diktators.