Auf einen Kaffee mit Sigmund Freud

Auf einen Kaffee mit Sigmund Freud

Man bestelle eine Tasse Wiener Mélange mit extra viel Schlagsahne, Schokolade – und eventuell einem Schuss Weinbrand. Man denke intensiv an die legendären Kaffeehäuser des alten Wiens. Trinke dann im Walzertakt von dem köstlichen Milchschaum-Elixier. Und mit etwas Glück gelingt der Zaubertrick …

„Gemma auf an Kaffee?“ fragt der Herr mit dem weißen Bart, der mir aus der Berggasse Nr. 19 entgegenkommt. Prompt steuern wir auf sein bevorzugtes Kaffeehaus zu: das Café Landtmann neben dem alten Burgtheater auf der Ringstraße. Bingo! Als rasender Reporter für den Zurheide-Kaffee-Blog konnte ich Zeit und Raum überwinden und mich ins Wien der Jahrhundertwende katapultieren, um dem Altvater der Psychoanalyse auf den Zahn zu fühlen: War er ein Genie oder ein Scharlatan? Großbürger oder Revoluzzer? Patriarch oder Freigeist? In jedem Fall war er Kaffeeliebhaber und experimentierte auch mit anderen Elixieren, die das Bewusstsein erweitern. Heute genügt ihm ein kleiner Koffein-Kick …

Freud: An Kaffeetscherl und a Kaiserschmarren, bittschön – aber mit extra viel Puderzucker, Zwetschgen und Rosinen!

Professor Freud, Sie gelten als einer der großen Vordenker des zwanzigsten Jahrhunderts …

Freud:  …der einer der drei großen Provokateure der Menschheit. Erst findet Kopernikus raus, dass die Erde ein belangloser Planet ist, der mit vielen anderen um die Sonne kreist. Dann werden wir, die Krone der Schöpfung, von Charles Darwin zum Affen gemacht. Und an der Schwelle zum 20. Jahrhundert komm dann ich und sage: Ihr seid nicht mal mehr Herr im eigenen Haus, sondern Marionetten eurer Triebe – die Ultima Ratio gibt´s gar nicht.

Sie begannen Ihre Karriere 1886 als Wiener Neurologe und machten schon bald eine sensationelle Entdeckung …

Freud: … für die ich einen hohen Preis bezahlt habe: Als praktizierender Arzt wollte ich nur das Leiden meiner neurotischen Patienten lindern und stieß dann bei meinen Fachkollegen auf erbitterten Widerstand. All das depperte G´schra um die Psychoanalyse …

Für damalige Verhältnisse war das ja auch starker Tobak. Onanie, Sodomie, Fetischismus; Zwang, Paranoia, Perversionen: Sie entdeckten die Nachtseite der menschlichen Seele …

Freud: … am lebenden Objekt. Die Patienten-Couch ist mein Laboratorium, ein Ort der Forschung. Dort begann für mich eines der größten intellektuellen Abenteuer des zwanzigsten Jahrhunderts.

Es folgten Werke wie „Das Ich und das Es“, „Totem und Tabu“ und „Jenseits des Lustprinzips“, eine Abhandlung über Wiederholungszwänge. Ihre bevorzugten Studienobjekte waren Hysterikerinnen wie die legendäre Anna O. …

Freud: Sagen Sie ruhig Bertha Pappenheim. Das weiß eh jeder. Ein fesches Mädl ist sie, dabei sehr klug und emanzipiert – wird mal eine bekannte Frauenrechtlerin. Natürlich auch hysterisch: Ödipus-Komplex, ungelöste infantile Konflikte. Habe sie aber entgegen aller Gerüchte noch nicht selbst kennengelernt.

Kommen wir zur Traumdeutung. Ihrer Lehre nach sind fast alle Gegenstände im Traum Ausdruck unserer verdrängten sexuellen Triebe. Ihre Zeitgenossen werfen Ihnen Pansexualismus vor: eine Ermutigung zum Sittenverfall …

Freud: A großer Schmarren! Meine Theorie vom Unbewusstem – dem „Es“ – erklärt ja gerade, wie man sich solcher Libido-Triebe bewusst wird und sie kontrolliert. Die Traumsymbole, speziell längliche Gegenstände, sprechen eben eine deutliche Sprache, wenn man sie entschlüsselt.

Bei allem Respekt: Warum kann eine Zigarre nicht einfach mal eine Zigarre sein?

Freud: Des ist sie ja, Katzerl – nachdem sie Ihrer Traumzensur zum Opfer gefallen ist. Wie Ihre Zeitreise ins alte Wien und all die anderen skandalösen Ereignisse, die sich soeben zugetragen haben.

Das historische Gesicht lächelt mir zu, bevor es langsam blasser wird: über dem Tassenrand meiner Wiener Mélange. „Darf´s noch etwas sein?“, fragt die freundliche Serviererin und räumt das Gedeck ab. Auf dem Teller qualmt noch Freuds Zigarren-Stummel. Dann ist auch der verschwunden …
CLAUDIA ROOSEN