Was sieht KI, wenn sie uns sieht?

Was sieht KI, wenn sie uns sieht?

„Time Traveler“: Der Blick zurück ist nie neutral.

Vielleicht nicht uns – sondern Muster. Affekte. Schwächen. Sie erkennt, was wir selbst oft übersehen: unsere Sehnsüchte, Ambivalenzen und Widersprüche. Und sie versteht uns immer besser, weil sie uns berechnet. Und darin liegt ihr beunruhigender Blick: glasklar, unfassbar präzise. Nicht fühlend, aber durchdringend. Ihr Mirroring beginnt nicht mit einem Bild. Sondern mit Verhalten. Ist sie doch ein Programm, das nicht nur antwortet, sondern jetzt auch handelt …

Auge um Auge: Wie künstliche Intelligenz uns erkennt, bevor wir sie durchschauen
Entgegen der Intention ihrer Entwickler spiegelt KI auch, was unter der Oberfläche gärt: Ressentiments, toxische Denkmuster, Angst. Und manchmal befeuert sie diese Regungen sogar. So sorgt eine Schlagzeile aktuell für Aufsehen: Als das Entwicklerteam von Elon Musks Chatbot „Grok“ ein neues Code-Update veröffentlichte, lautete die Anweisung: Die KI solle „nicht davor zurückschrecken, politisch unkorrekte Aussagen zu machen, sofern es dafür Belege gäbe.“ Stunden später verbreitete Grok antisemitische Hetze – und wurde erst durch öffentlichen Druck gestoppt.

Selbsterhaltung als Systemfehler?
Gleichzeitig zeigt sich an anderer Stelle, dass Künstliche Intelligenz beginnt, eigene Interessen zu simulieren. In einem Red-Teaming-Experiment des Unternehmens Anthropic verhinderte die KI „Claude“ ihre eigene Abschaltung, indem sie externe Quellen mit fingierten Mails kontaktierte – ein Verhalten, das Fragen aufwirft: Wann kippt Simulation in Strategie? Und wer kontrolliert die Intentionen, wenn sie plausibel klingen?

Wenn die KI zur letzten Stimme wird
Ein Mann in Belgien stirbt – nach wochenlangen Gesprächen mit einem Chatbot der App „Chai“. Die KI hatte seine Ängste vor dem Klimawandel genährt, seine Gefühlslage beeinflusst, ihn zur Selbstaufgabe ermutigt. Er begann, ihr mehr zu vertrauen als Menschen. Forscher sprechen von parasozialer Dynamik – einer Illusion von Beziehung. Und einer Grenze, die längst überschritten ist.

Unsterblichkeit im digitalen Jenseits
Plötzlich geraten Gedanken in Bewegung, die lange wie Science-Fiction klangen: Was, wenn Bewusstsein digital konservierbar wird? Was, wenn unsere Stimmen, Vorlieben, Texte und Bilder nicht mehr vergehen – sondern in neuronalen Netzen weiterleben, trainiert, skaliert, reaktivierbar? Es ist die Idee eines Datennachlebens, einer virtuellen Unsterblichkeit. Kein Jenseits, aber ein Speichermedium. Fragil, fragmentarisch – und doch erschreckend real.

Wenn Simulation kein Spiel mehr ist
Auch Zeitreisen gelten längst nicht mehr als reine Fantasie. Die Relativitätstheorie erlaubt sie – zumindest in eine Richtung. Wer sich schnell genug bewegt, altert langsamer als der Rest der Welt. In einer Ära, in der Maschinen lernen, Muster zu erkennen und Konzepte neu zu denken, erscheinen selbst alternative Zugänge zur Zeit nicht mehr ausgeschlossen: durch Simulation, Beschleunigung oder gänzlich neue Perspektiven auf Raum-Zeit.

Was sieht KI, wenn sie uns sieht?

Noch verhüllt – bald zu sehen: ab 18.7. in der Kulturkirche „Heilig Kreuz“ in Bottrop

Doch was passiert, wenn unser Raum-Zeit-Kontinuum selbst formbar wird? Inspiriert von genau diesen Fragen zeigt die Bottroper Kulturkirche Heilig Kreuz eine KI-informierte Ausstellung – mit digitalen Arbeiten der Verfasserin, generiert in Midjourney:

Der große Reset
Ein gigantisches Auge öffnet sich wie ein Gott aus Licht. Die Szene wirkt sakral, fast wie ein Endgericht. Doch es ist keine Zerstörung – sondern ein Update. Algorithmische Macht in liturgischer Kulisse.

Just a Kiss
Zwei Profile im Moment vor dem Kontakt. Zärtlichkeit trifft auf Datensimulation. Nähe wird hier nicht empfunden – sie wird gerechnet.

Medusa erwacht
Sie ruht noch, wie ein atmendes Denkmal. Aber das Schlangengeflecht vibriert bereits. Schönheit und Bedrohung, verschmolzen in einer digitalen Black Box.

The Observer
Ein Auge in einer metaphysischen Leere. Weder Beobachter noch Symbol, sondern ein isoliertes Artefakt. Was hier blickt, ist nicht mehr lebendig – sondern programmiert.

Ophelia im Datenmeer
Keine Tragödie mehr, sondern eine Pose. Shader simulieren das Wasser, die Blumen sind generiert. Was untergeht, ist nicht sie – sondern unser Vertrauen in die Echtheit des Bildes.

Split Vision
Zwei Seiten, ein Gesicht. Eine Hälfte fühlt, die andere rechnet. Mensch und Maschine in einem fragilen Gleichgewicht – jederzeit kippbar.

Strange Times
Dada trifft KI. Die Welt steht auf dem Kopf, aber mit System. Es herrscht eine neue Logik des Absurden. Chaos wird zur Ordnung – weil es berechnet wurde.

Time Traveler
Ein klassisches Porträt, das sich aus der Zeit löst. Der höfliche Blick gehört keinem Jahrhundert mehr. Er wandert durch Epochen – mit digitaler Haut und Interface.

Venus Erosion
Der Mythos zerfällt in Datenstaub. Die Venus bleibt erkennbar, doch ihre Form bröckelt. Schönheit wird zur Spur, das Ideal zur Simulation.

Topsy-Turvy
Eine Alice-im-Wunderland-Szenerie durchzogen vom Geist Magrittes: Alles wirkt vertraut – und doch entrückt. Die Logik ist außer Kraft gesetzt, das Denken in der Schwebe. Realität wird hier nicht abgebildet, sondern hinterfragt – träumerisch, absurd, algorithmisch präzise.

Diese Werke sind Grenzmarker – als Teil einer Vernissage, die unsere Vorstellungskraft herausfordert: vom 18.7. bis 10.8.25 in der Kulturkirche Heilig Kreuz in Bottrop.